Die heimliche Online-Durchsuchung wurde beschlossen!
Die Bundesregierung hat beschlossen: Die Online-Durchsuchung kommt. Der Entwurf für ein Änderungsgesetz des BKA-Gesetzes wurde am 4. Juni 2008 im Kabinett beschlossen. Nimmt man den Katalog der neuen Ermittlungsbefugnisse genauer in Augenschein, stellt man fest, dass die Online-Durchsuchung womöglich nur das die Öffentlichkeit ablenkende Opferlamm sein könnte.
Gibt es noch die Freiheit des Einzelnen vor dem Staat?
Der Maßnahmenkatalog hat es in sich – vom gesprochenen Wort in den eigenen vier Wänden über die Online- bzw. PC-Nutzung über die Verwendung von Telekommunikationsgeräten bis hin zur lückenlosen Überwachung des Mobilfunks, nämlich über Inhalt und – noch wesentlicher – aktuellem Aufenthaltsort des Nutzers, darf das BKA demnach Daten erheben, aufzeichnen und zwar auch – und das dürfte verfassungsrechtlich besonders bedenklich sein – ohne konkreten Anlaß, gleichsam auf Vorrat für eine etwaige künftige Strafverfolgung.
Wollen wir Bürger ein solches „BKA-BigBrother 1984“ …?
Die bereits wiederholt und überaus kritisch diskutierte Frage, ob und wenn ja wie, Online-Durchsuchungen bzw. -Überwachungen zugunsten von Polizeibehörden, sowohl für die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung zugelassen werden sollen, lesen sich im Gesetzeswortlaut – selbstverständlich – ganz unspektakulär.
„Das Bundeskriminalamt darf ohne Wissen des Betroffenen mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingreifen und aus ihnen Daten erheben.“
Aber der Reihenfolge nach:
Im Bereich der Zuständigkeiten für die Strafverfolgung wird zunächst eine Erweiterung auch für die Verfolgung von Fällen des internationalen Terrorismus eingeführt, § 4a BKAG-E.
Im Rahmen der Strafverfolgung und Datenspeicherung zum Zwecke künftiger Strafverfolgung ist nach dem bereits in Kraft stehenden § 16 des BKAG der „Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung“ zugelassen. Diese Regelung erlaubt es, dass „ohne Wissen der Betroffenen … das innerhalb oder außerhalb einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet und Lichtbilder und Bildaufzeichnungen hergestellt werden“.
Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen (vgl. unsere Beiträge vom 27.2.2008 und vom 29.2.2008), wird jener Regelung ein neuer Absatz eingefügt, der den Kernbereich privater Lebensgestaltung von dieser Überwachungserlaubnis ausnimmt.
Allerdings geht es nicht um ein Verbot der Datenerhebung, sondern allein ein Verbot der Datenverwendung – solche Daten sollen unverzüglich gelöscht werden. Angesichts der Mißbrauchsgefahr, die durch einmal erhobene Daten unzweifelhaft besteht, sowie der fragwürdigen Kontrolle solcher Löschungen, muß diese Fassung des „Verbots“ kritisch beurteilt werden.
Vollständig neu eingeführt werden sodann in diesem Regelungsbereich der zugelassenen Maßnahmen zur Strafverfolgung die §§ 20a – 20x BKAG-E.
Zunächst wird eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage für alle als notwendig beurteilten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geschaffen, § 20 a BKAG-E. Damit läßt sich im Zweifel jeder ermittlungstechnische Vorgang auf eine rechtliche Grundlage stellen. Das wird offenbar vom Verfasser des Gesetzentwurfs auch genau so gesehen, denn im Absatz 2 „versucht“ er eine Begrenzung, nämlich auf die o.g. Fälle internationalen Terrorismus (s.o. § 4a BKAG-E).
Ein Schelm, wer sich da nicht denkt, dass diese Norm möglicherweise eine solch eindeutige Schlappe verhindern soll, wie sie Anfang 2007 der BGH erteilte (vgl. unseren Beitrag vom 5.2.2007 zum Verbot von Onlinedurchsuchungen).
Diese Methodik der „Begrenzung“ setzt sich in den weiteren Vorschriften fort, indem in der jeweiligen „Erlaubnisnorm“ der Zusatz angefügt wird, „soweit dies zur Erfüllung der dem Bundeskriminalamt nach § 4a Abs. 1 Satz 1 obliegenden Aufgabe erforderlich ist“. Dabei handelt es sich um das Recht zur Erhebung personenbezogender Daten, Auskunfts- und Befragungsrechte, Identitätsfeststellung, erkennungsdienstliche Maßnahmen bis hin zu den informationstechnisch „interessanten“ Maßnahmen, nämlich die §§ 20h-n BKAG-E, einschließlich der der Online-Durchsuchung, § 20k BKAG-E.
Zunächst ist beispielsweise für § 20h BKAG-E festzustellen, dass hier die Einschränkung auf § 4a BKAG-E fehlt. Vielmehr ist der „verdeckte Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen“ weitergehend zugelassen, nämlich für alle Fälle, in denen dies zur Abwehr einer „dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist“.
Immerhin soll hier der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden, indem nach Absatz 5 vorgegeben ist, dass jene technischen Ermittlungsmaßnahmen nur durchgeführt werden dürfen, wenn anzunehmen (!) ist, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht erfasst werden wird.
Es wird für diesen Fall auch tatsächlich die weitere Datenerhebung untersagt. Diese ist nach dem Wortlaut des Gesetzesentwurfs „zu unterbrechen“, „soweit sich
während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden“.
In Zweifelsfällen dürfen die Ermittler jedoch unter Verwendung „automatischer Aufzeichnungen“ fortfahren und müssen dann allerdings die gewonnen Daten einem Gericht vorlegen, das über die Löschung zu entscheiden hat.
Die Unterscheidung zwischen dem Einsatz technischer Mittel zum Abhören, Aufzeichnen oder Herstellen von Lichtbildern einerseits und „automatischer Aufzeichnungen“ lädt aus meiner Sicht nicht nur zur Diskussion, sondern vor allem zum Mißbrauch bzw. der Umgehung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ein.
Aber nun zur Onlinedurchsuchung, die zunächst als Eingriff und Datenerhebung in informationstechnische Systeme definiert wird, § 20k BKAG-E. In Absatz zwei wird dem BKA erlaubt, was einem Bürger nach den Regeln des Strafrechts verboten ist – die Veränderung informationstechnischer Systeme – ohne Wissen des Betroffenen, versteht sich. Aber zum Schutz des Betroffenen sollen nur solche Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerläßlich sind. Und sie sind auch nach Beendigung der Maßnahme – soweit möglich – rückgängig zu machen.
Ob der jeweils handelnde Ermittlungsbeamte sich diesem Risiko tatbestandlichen Verhaltens, d.h. gegen das Strafgesetzbuch verstoßend, aussetzen möchte? Oder handelt ein BKA-Beamter außerhalb des Strafgesetzbuches, etwa der §§ 202a-202c oder 303a bzw. 303b StGB?
Immerhin – nach § 20k Absatz 7 BKAG-E wird auch in diesem Falle der Kernbereich privater Lebensgestaltung einem Schutz zugeführt. Das Prinzip habe ich oben bereits dargestellt.
„Soweit möglich, ist technisch sicherzustellen, dass Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, nicht erhoben werden.“
Nun sind voraussichtlich die Informatiker aufgefordert, den vom Gesetzgeber vorausgesetzten Algorithmus zu schreiben und in ein entsprechendes Programm zu überführen.
Im Zweifelsfall sollen die Daten einem Gericht vorgelegt werden – erhoben sind sie dann allerdings bereits.
Ob dieser beschlossene Entwurf tatsächlich Gesetz wird, bleibt natürlich abzuwarten und es ist zu hoffen, dass noch einiges überdacht, gelöscht und verändert wird.
Der Maßnahmekatalog erlaubt unglaublich weitreichende Eingriffe in alle Lebensbereiche des Menschen. Der grundgesetzliche Schutz der Wohnung, sogar der Kernberich privater Lebensgestaltung sind betroffen, liegen Ermittlungsbeamten und Gerichten zur Beurteilung vor.
Nimmt man die Datenmißbrauchsfälle der jüngsten Vergangenheit hinzu, können höchst unangenehme Empfindungen aufkommen. Und letztlich muß sich der Bürger immer die Frage stellen und beantworten: Wieviel Freiheit gebe ich auf, um vermeintliche Terroristen oder Straftäter zu verfolgen – das Überführen von Tätern oder gar Verhindern von Taten ist damit ohnehin noch lange nicht erreicht.
Nachtrag: Auszüge des Wortlauts aus dem Gesetzentwurf haben wir – hier – hinterlegt.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der §4a BKAG bereits eine beängstigende Entwicklung aufzeigt. Durch die Kompetenzerweiterung durch den §4a BKAG entwickelt sich das BKA zu einem mit Exekutivbefugnissen ausgestatteten Nachrichtendienst. Das macht mir als Bürger Angst!